Psychologische Sicherheit: Der unterschätzte Schlüssel für Innovation
- Dr. Babette Sonntag

- vor 4 Minuten
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Psychologische Sicherheit scheint ein "In"-Begriff zu sein. Was ist das? Und was bedeutet das für Innovationsmanagement?
Stelle dir ein Team vor, in dem jede Idee ausgesprochen werden darf – selbst wenn sie auf den ersten Blick absurd wirkt. Ein Umfeld, in dem es statt "Nein, aber..." eher heißt: "Ja, und...". In dem ein kurzer Gedankenimpuls als Einladung zum gemeinsamen Weiterdenken verstanden wird. In dem Fehler gemeinsam sachlich analysiert und als Quelle des Lernens genutzt werden. In dem du genau weißt, wo dein Handlungsspielraum ist. Willkommen im optimalen Innovationsumfeld! Die Realität sieht oft anders aus. Wir sind mit Ressourcen-, Zeit-, Budgetengpässen konfrontiert, müssen Excel-Reports erstellen und Multitasking managen. Unter Stress geschieht es leicht, dass neue Gedanken oder Vorschläge abgebügelt werden. Und das ist nur allzu menschlich. Das optimale Umfeld erscheint eigentlich unrealistisch.
Wie also können wir uns trotzdem dem idealen Umfeld so weit wie möglich annähern? Was können wir dafür tun?
Innovation entsteht nicht durch bloße Technik oder clevere Methoden allein. Um herauszufinden, was erfolgreiche Teams ausmacht, hat Google vor 10 Jahren sein internes Forschungsprojekt „Aristotle“ durchgeführt. Das klare Ergebnis war: Nicht Expertise oder Effizienz oder standen ganz oben – sondern psychologische Sicherheit.
Also ist das doch mehr als nur ein "In"-Begriff?
Was ist psychologische Sicherheit?
Bekannt gemacht wurde der Begriff "psychologische Sicherheit" durch Amy Edmondson. Sie ist Professorin für Führung und Management an der Harvard Business School und forscht zu Führung, Teamarbeit und organisationales Lernen. Edmondson identifiziert psychologische Sicherheit als Basis für lernende und innovative Teams.
Zusammengefasst wird damit ein Arbeitsklima beschrieben, in dem Mitarbeitende das Gefühl haben, ohne Angst vor negativen Konsequenzen offen sprechen, Fragen stellen und Risiken eingehen zu können.
Fehler können als Lernchancen gesehen werden, statt als Bedrohung für den eigenen Status oder die Karriere. Dies fördert Offenheit, ehrliches Feedback und eine konstruktive Zusammenarbeit.
Aber: Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass immer Harmonie herrscht und Konflikte vermeiden werden.
Zusammengefasst bedeutet psychologische Sicherheit:
Fehler dürfen passieren und werden als Chancen zum Lernen betrachtet.
Offene Kommunikation ist erwünscht – unabhängig von Hierarchien.
Kritik wird sachlich und konstruktiv geäußert, und nicht persönlich genommen.
Verschiedenheit wird akzeptiert und geschätzt.
In einem solchen Klima entstehen Vertrauen, Lernbereitschaft und Kreativität – zentrale Voraussetzungen für Innovation und kontinuierliche Verbesserung.
Psychologische Sicherheit und Innovation
Es geht in erster Linie darum, ein sicheres, wohlwollendes Klima zu schaffen. Und nicht darum, Stuhlkreise zu bilden und uns noch mehr mit uns selbst zu beschäftigen.
Wer unsicher ist, was Reaktionen auf Ideen und spontane Gedanken angeht, bleibt lieber still – und genau das ist fatal für kreative Prozesse. Ideen beginnen oft als unfertige, kantige oder verschwommene Gedanken. Sie nehmen Gestalt an, indem man darüber redet und Feedback bekommt. Wenn Ideen von vornherein „aussortiert“ werden, weil sie niemand äußern möchte, bleibt Potenzial ungenutzt.
Ausgehend von den Kennzeichen psychologischer Sicherheit lassen sich Aktionen ableiten, mit denen Führungskräfte Kreativität und Ideenarbeit fördern stützen können:
Offenheit: Wer als Führungskraft eigene Zweifel oder Fehler offen anspricht, signalisiert anderen, dass sie dies auch tun können.
Zuhören: Gesprächen nicht nur Raum geben, sondern wirklich hinhören – auch bei unbequemen Beiträgen - durch Rückfragen, Feedback, Zusammenfassen des Gehörten, Anbieten nächster kleiner Schritte.
Perspektivwechsel: Unterschiedliche Perspektiven als Innovationsquelle betrachten, nicht als Störfaktor. Blickwinkel aktiv miteinander kombinieren, Mitarbeitende verschiedener Perspektiven bewusst zusammenbringen.
Feedback: Im Alltag Zeit für gegenseitiges Feedback schaffen.
Klingt erstmal etwas theoretisch, oder?
Eine Brücke zu Innovationskraft

Nur wer sich sicher fühlt, wird Extraenergie investieren, nochmal ausprobieren, Risiken eingehen und Verantwortung übernehmen. Eine innovationsfähige Organisation beginnt also mit der Unternehmenskultur – und die beginnt beim alltäglichen Miteinander.
Ohne psychologische Sicherheit verharren Teams in der Komfortzone, vermeiden Risiken und Neugier und Offenheit schlafen ein.
Studien belegen, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit:
schneller aus Fehlern lernen
bessere Lösungen entwickeln
höhere Motivation zeigen
erfolgreicher mit Unsicherheit umgehen
Führungskräfte und Teammitglieder, die psychologische Sicherheit fördern, schaffen somit den fruchtbaren Boden für neue, frische Ideen und Verbesserungen.
Fazit: Psychologische Sicherheit ist kein „weiches“ Thema, kein "nice to have", sondern ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Innovationsmanagement. Wer echten Innovationsgeist fördern will, muss vor allem eins tun: ein Umfeld schaffen, in dem Menschen mutig, offen und vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Das ist einfacher als gedacht, wenn man einander wertschätzend zuhört.
Psychologische Sicherheit ist kein „Soft Skill“-Luxus, sondern eine harte Voraussetzung für nachhaltige Innovationsleistung.
Frage zum Weiterdenken: Was wäre, wenn niemand Angst davor hätte, sich zu irren?
Hier checken: Google-Aristoteles-Studie: 5 Merkmale von Erfolgsteams
Vier Dinge, die jede/r Einzelne tun kann

1. Fehler offen ansprechen und als Lernchance nutzen
Mache Feedback und Rat einholen zur Routine in deinem Team.
Kommuniziere klar, dass Experimentieren und Scheitern zur Arbeit gehören.
2. Vertrauen aktiv fördern – besonders in hybriden Teams
Nutze gezielte Onboarding- und Teambuilding-Maßnahmen, um neue Mitglieder einzubinden.
Starte persönliche Austausche (z. B. virtuelle Kaffeepausen).
3. Innovation als Kulturthema verankern
Kommuniziere mit Mut und Kreativität verbundene Werte klar und regelmäßig.
Belohne nicht nur Erfolg, sondern auch Mut, Neues auszuprobieren und daraus zu lernen.
4. Förderung von Offenheit und Feedback
Implementiere Instrumente wie regelmäßige Team-Reviews, „Lessons Learned“-Sessions und auch anonyme Feedbackkanäle.
Schaffe Räume (physisch und digital), in denen Mitarbeitende auf einfache, unkomplizierte Art offen ihre Gedanken und Bedenken teilen können.
Ideen nehmen Gestalt an, indem man darüber redet und Feedback bekommt. In erster Linie: ermöglicht einen wertschätzenden und interessierten Austausch untereinander!
Fazit
Psychologische Sicherheit ist meiner Meinung nach nicht einfach nur ein weiterer "In"-Begriff, der gerade mal viel diskutiert wird, sondern ein zentraler, dauerhafter Erfolgsfaktor für Innovationsmanagement – insbesondere in der dynamischen, hybriden Arbeitswelt.
Neuere Forschungen (Links ganz unten) bestätigen und erweitern die Erkenntnisse von Project Aristotle. Psychologische Sicherheit ist heute mehr denn je eine Grundvoraussetzung für Innovationsfähigkeit – besonders in einer zunehmend hybriden und komplexen Arbeitswelt.
Das klingt nach einem großen Thema, bei dem sich Einzelne klein fühlen können. Aber wenn du genau liest, dann entdeckst Du in jedem einzelnen der 4 Punkte etwas, was du selbst im Kleinen, in deinem Arbeitsalltag tun kannst. Stell dir vor, allein die Hälfte deiner Kollegen und Kolleginnen würde das ebenfalls tun! Was könnte das bewirken...!
Der Wandel vollzieht sich über die Breite auf jeder Ebene. Er lässt sich nicht Top Down verordnen, aber er lässt sich wie eine Graswurzelbewegung anstoßen!
Womit fängst du an? Mit welchen deiner Kollegen sprichst du morgen darüber?
Weiterführende Links:
MIT Sloan Management Review: Search Results psychological safety



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