Es ist eine Traumsituation, wenn uns der Gedanke durch den Kopf schießt "Das ist eine geniale Idee! Das kann funktionieren!". Das fühlt sich so gut an. Und die erste Beschreibung der Idee fließt nur so auf´s Konzeptblatt. Aber dann stellt sich die große Frage im Ideenmanagement: Wie viel muss ich klären, recherchieren, beantworten, beschreiben, analysieren, ausrechnen, bis ich mit einem Entscheider über meine Idee sprechen kann? Wie "reif" muss meine Idee sein, damit ich Erfolg habe?
Es gibt zwei oft diskutierte Extreme beim Kommunizieren einer neuen Idee: den Perfektionismus und den "Frühstart".
Bei beiden werden oft nur die Nachteile betrachtet und die Empfehlung lautet dann: "Wähle die Mitte davon."
Ich möchte neben den Nachteilen der beiden extremen Vorgehensweisen auch ihre Vorteile betrachten, denn beide haben ihre Berechtigung. Niemand, der aus guten Gründen das eine oder andere wählt, soll sich mit einer neuen Idee entmutigt fühlen. Im Anschluss möchte ich einen guten Tipp für die richtige "Mitte", die "gute Reifebalance", wie ich es nenne, geben.
Perfektionismus - die Idee ist REIF
Perfektionismus wird definiert als "übertriebenes Streben nach Vollkommenheit" und "übertriebene Fehlervermeidung" (s. Wikipedia Link). Synonyme sind u.a. "Vervollkommnung", "Komplettierung" oder "Ausgereiftheit", wie z.B. unter buchstaben.com nachzulesen ist (Link)
In Bezug auf unsere Idee heißt das übertrieben gesagt, dass wir sie erst präsentieren, wenn wir alle uns eingefallenen Fragen dazu beantwortet haben. Wenn wir eine ausführliche, grafisch und inhaltlich perfekte und tiefgehende Präsentation dazu halten können. Wenn wir den Business Case gerechnet haben. Wenn wir also viel Zeit in die Ausarbeitung unserer Idee investiert haben.
Nachteile von Perfektionismus im Ideenmanagement
Feedback von anderen zur Idee kommt erst sehr spät, so dass bestimmte Perspektiven -Kunde, Investor, User - nicht berücksichtigt werden.
Der Fokus liegt dadurch zu stark auf der Ideenumsetzung, also dem Approach und zu wenig auf den Schmerzpunkten und den Bedarfen, welche die Idee lösen soll (siehe hierzu meinen Blogeintrag NABC: Mit nur 4 Bausteinen zu einem überzeugenden Pitch - und besserer Kommunikation).
Wenn wir zu lange im eigenen Saft kochen, dann schießen wir schnell in der Fülle an gesammelten Informationen zu unserer Idee über das Ziel hinaus, reden am Gegenüber vorbei, verfolgen eine unwichtige Idee, für die es keinen Bedarf gibt und haben am Ende eine schlechte Aufwand-Nutzen-Balance - viel getan, wenig erreicht...
Vorteile von Perfektionismus im Ideenmanagement
Perfektionismus ist eine Möglichkeit, der eigenen Unsicherheit zu begegnen, weil wir damit schon viele kritische Fragen vorwegnehmen und beantworten.
Weiterhin ist es eine grundlegende Lebenseinstellung und Arbeitsweise, die wir auch als "Gründlichkeit" beschreiben können.
Je nach Gegenüber sind das hilfreiche Vorgehensweisen.
Frühstart - die Idee ist noch UNREIF
Als "Frühstart" bezeichne ich hier die Vorgehensweise, mit einer noch sehr frischen, unreifen Idee "nach draußen" zu gehen und mit anderen darüber zu reden, ohne alles durchdacht zu haben.
Das bedeutet, dass wir keine ausgefeilte Präsentation haben, sondern vielleicht nur eine Ideenskizze auf Papier, einem Flipchart oder nur unsere Worte.
Ich habe schon oft gehört, dass der Frühstart das einzig richtige Vorgehen in der Innovation und im Ideenmanagement sei. Nur so und nicht anders könne man Feedback frühzeitig einbauen, die Idee anpassen und die richtigen Fragen und Fakten berücksichtigen. Was wiederum das wichtigste Erfolgskriterium im Ideenmanagement ist. Aus meiner Sicht allerdings ist auch der Frühstart ein Extrem mit seinen Vorteilen, aber auch Nachteilen.
Nachteile des Frühstarts im Ideenmanagements
Der zündende Funke springt bei den Zuhörern/Adressaten nicht über, weil noch zu viele Informationen und Zusammenhänge fehlen.
Die Idee klingt unausgereift und damit unprofessionell oder uninteressant.
Das Feedback der Zuhörer kann so vielseitig sein, dass es uns verunsichert und wir den Kern der Idee nicht mehr sehen.
Vorteile des Frühstarts im Ideenmanagements
Wir bekommen frühzeitig Kunden-/Userfeedback und können es nutzen, um unsere Nutzen-Argumentation ganz darauf zuzuschneiden.
Wir bekommen Anregungen, wie unsere Idee angepasst werden kann, um noch erfolgreicher zu sein.
Wir erkennen frühzeitig, wenn unsere Idee nicht das erwartete Potenzial hat und sparen Zeit, indem wir die Idee frühzeitig "aussortieren".
Wir finden Mitstreiter und Unterstützer von Anfang an.
Jemandem, der immer sehr gründlich arbeitet und unfertige Präsentationen z.B. als ein absolutes NoGo empfindet, dem kann man schlecht raten "Geh doch mal ganz früh mit deiner Idee zu Geschäftsführung, nimm einen Flipchart mit. Das reicht!"
Jemandem, der sehr kreativ, impulsiv und extrovertiert arbeitet, kann man ebenso wenig sagen "Bereite erstmal mindestens 20 Powerpoint-Charts vor und rechne den Business Case auf 5 Jahre für deine Idee aus, bevor du darüber mit jemandem sprichst"
Stattdessen heißt es immer: "Der goldende Mittelweg ist der beste. Du musst von beidem ein bisschen mitbringen!"
Aber: wie kann denn der "Goldene Mittelweg", die Reifebalance aussehen?
Die Reifebalance finden
Es kommt bei der Kommunikation einer neuen Idee auf die passende Balance zwischen "die Idee ist reif" und "die Idee ist (noch) unreif" an.
Das Empfinden der "Reifebalance" ist bei jedem von uns anders. Doch es gibt zwei Regeln, die mir immer helfen, den passenden Zeitpunkt zu finden, eine Idee öffentlich zu machen und andere Personen in verschiedenen Rollen als Feedbackgeber und Mitstreiter einzubeziehen:
PITCH-Logik
Ich halte es für enorm wichtig für den Erfolg einer Idee, von Anfang einer Pitchlogik zu folgen. In der Struktur eines Pitches sind alle wichtigen Fragen zu einer neuen Idee bzw. Innovation enthalten. Diese Struktur hat sich bewährt und wird fast überall im Innovationsmanagement angewandt.
Alles beginnt mit der wichtigsten aller Fragen: "Welchen Schmerzpunkt löse ich mit meiner Idee? Welchen Bedarf erfülle ich?" Eine Möglichkeit, diese Frage fundiert zu beantworten, ist die "5 Why-Methode, die ich hier beschreibe: 5 ultimative Fragen, um die Schmerzpunkte deiner Zielgruppe zu erkennen - Die 5 Whys/Die 5 Warums Es ist wichtig mindestens 5x nachzubohren, warum wir glauben, dass ein bestimmter Bedarf da ist und warum ein bestimmtes Problem wichtig ist. Je öfter wir mit dem "Warum" tiefer bohren, desto konkreter wird der Kern unserer Idee überraschenderweise.
Die Frage nach dem "Wie", also dem Lösungsansatz, ist erstmal viel weniger wichtig.
Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag Das ganze Leben ist ein Pitch...
Angepasstes PARETO-Prinzip
Es ist wichtig, nicht nach unangebrachter Perfektion zu streben. Niemand will ganz viel Aufwand investieren, um dann zu hören "Nee, passt nicht!" oder "Uninteressant! Sie können abbrechen."
Hier hilft das Pareto-Prinzip, auch die "80-zu-20-Regel" genannt.
Die Pareto-Regel besagt, dass mit nur 20% des Gesamtaufwandes 80% der Ergebnisse erreicht werden. Die restlichen 20% der Ergebnisse werden mit 80% des Gesamtaufwandes erreicht, sind also unverhältnismäßig aufwändig, man könnte auch sagen anstrengend, ineffizient, kostspielig. Oder im Ideenmanagement der frühen Phase vielleicht sogar unnötig?
Ich glaube nicht, dass es genau und immer 20% des Gesamtaufwandes sind, die zu 80% Zielerreichung führen. Es gibt auch denkbare andere Verteilungen, je nachdem, wie technologisch oder kaufmännisch anspruchsvoll die Idee ist.
Der Kern des Prinzips ist es aber in jedem Fall, in der frühen Innovationsphase weniger Aufwand zu investieren und sich mit weniger als 100% Ausgestaltung der Idee (Fertigkeitsgrad, Reifegrad) zufriedenzugeben. Die gesparte Zeit ist besser investiert, wenn wir uns damit Feedback von anderen Personen in verschiedenen Rollen (Kunde, User, Geldgeber, Freund, Vertriebler,...) einholen und die Idee an bestimmten Stellen Stück für Stück verbessern.
Daher nenne ich meine zweite Regel angepasstes PARETO-Prinzip.
Sowohl Perfektionismus als auch der Frühstart haben seine Berechtigung und bringen nicht nur Nachteile. Um die richtige Balance zwischen "reif" und "(noch) unreif" und damit einen guten Zeitpunkt, zum Kommunizieren einer Idee zu finden, helfen die zwei beschriebenen Regeln.
Wie findest du die richtige Balance im Reifegrad deiner Idee, bevor du sie "öffentlich machst"? Was sind deine Tipps?
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