
Nach dem großen Echo auf meinen Blogbeitrag Ethik und Innovation: Big in Japan komme ich gerne dem Wunsch einiger Leser nach mehr Impulsen aus Japan nach. Danke für Euer Feedback!
Heute stelle ich die Fragen: Welche traditionellen Ansätze sind prägend für die japanische Kultur? Lassen sie sich verbinden, um neue Impulse für Innovationsmanagement zu bekommen?
Effizienz und Innovation sind unbestritten zwei der treibenden Kräfte, die Japan seit Jahrzehnten zu einer der führenden Wirtschaftsmächte der Welt gemacht haben. In einem Land, in dem so viele Menschen neugierig und spielerisch neue Technologien aufgreifen und alles Neue sofort mit Spaß ausprobieren, muss es doch grundsätzliche Voraussetzungen für diese Offenheit geben. Diese Grundsätze, die tief in der japanischen Gesellschaft verwurzelt sind, können wertvolle Lektionen für Unternehmen weltweit bieten, ihre Produktivität zu steigern und gleichzeitig Innovationen zu fördern.
Doch was könnte das sein? Kaizen trifft Shinto...?
Ich möchte Kaizen, das japanische Verbesserungsprinzip, und Shinto, Japans ureigene Religion, näher betrachten:
Kaizen: Innovation durch kleine Schritte mit großer Wirkung
Kaizen (改善) bedeutet wörtlich „Veränderung zum Besseren“ und basiert auf der Idee, dass kontinuierliche kleine Verbesserungen nachhaltiger sind als radikale Umbrüche.
Ursprünglich wurde das Konzept nach dem Zweiten Weltkrieg durch Qualitätsmanagement-Pioniere wie W. Edwards Deming nach Japan gebracht, und dann durch Unternehmen wie Toyota perfektioniert.
Bei der Entwicklung und Verbreitung der Kaizen-Grundsätze spielten mehrere einflussreiche Persönlichkeiten eine Rolle. Vor allem Taiichi Ohno, Visionär und leitender Angestellter von Toyota, wird oft als Vater des Toyota-Produktionssystems angesehen, welches die Kaizen-Grundsätze verkörpert. Ohnos innovatives Denken und seine Betonung der kontinuierlichen Verbesserung wurden zu Eckpfeilern der Lean Production und zur Grundlage der modernen Kaizen-Methoden.

Es war übrigens Kaoru Ishikawa, der es Deming 1950 ermöglichte, seine Qualitätsmanagementkonzepte bei japanischen Top-Managern vorzustellen. In den USA fand er bis dahin nicht die erhoffte Aufmerksamkeit. Ishikawa wiederum ist bekannt für das „Ishikawa-Diagramm“ (Fischgrätendiagramm), welches als Hilfsmittel für die Analyse von Qualitätsproblemen und deren Ursachen entwickelt wurde, aber inzwischen weltweit auf viele andere Problemfelder übertragen wurde.

Ein faszinierender Fun Fact: Während Kaizen in Japan zunächst durch westliche Berater inspiriert wurde, haben später viele westliche Unternehmen die japanische Kaizen-Methode re-importiert, um ihre eigenen Produktionsprozesse zu optimieren – ein klassischer Innovations-"Boomerang"!
Die wahre Kraft von Kaizen liegt darin, alle Mitarbeiter aktiv in den Verbesserungsprozess einzubinden. Vom Top-Manager bis zum Fabrikarbeiter wird jeder ermutigt, Optimierungspotenziale zu erkennen und Vorschläge einzubringen.
Diese Kultur der ständigen kleinen Verbesserungen ist ein Garant für die weltweit geschätzte Qualität japanischer Produkte.
Statt auf bahnbrechende Erfindungen zu warten, ermöglicht „fließende Evolution“ eine nachhaltige und stetige Innovationsentwicklung.
Shintoismus: Harmonie und Respekt für kleine Dinge als Erfolgsprinzip
Shinto (神道, Weg der Götter), die ureigene Religion Japans, ist absolut Diesseitsbezogen (im Unterschied zum Buddhismus). Alles – von Bergen bis zu Flüssen und Gegenständen – hat einen spirituellen Wert und ist Teil eines größeren harmonischen Ganzen. Oft wird Shinto auch als „Volksglaube“ bezeichnet.
Im Shinto gibt es unzählige Rituale, die sich an die unendlich vielen Gottheiten, die 神 (kami), richten. Kami können viele Gestalten annehmen: Tiere, Menschen, Bäume, Steine,… In allem, auch in den kleinsten Dingen, findet sich göttlicher Geist, der mit dem Leben der Menschen verwoben ist.
Im Shintoismus gibt es keine heiligen Schriften oder Dogmen, sondern nur mündliche Überlieferungen und Rituale, die sich über die Jahrtausende entwickelt haben. Es ist daher aus meiner Sicht keine Übertreibung, ihn durchaus als eine der flexibelsten und anpassungsfähigsten spirituellen Traditionen der Welt zu betrachten!
Diese Philosophie spiegelt sich stark in der japanischen Gesellschaft und Unternehmenskultur wider: Respekt, Achtsamkeit und Gleichgewicht sind Schlüsselfaktoren des Zusammenlebens und essenziell für langfristigen Erfolg.
Unternehmen, die nach nachhaltiger Innovation streben, können aus dieser Denkweise lernen, indem sie nicht nur auf kurzfristige kosmetische Optimierungen, sondern auch auf ihre Unternehmenskultur, Bestandteile des täglichen Arbeitsumfelds und kleine Erfolge im Alltag fokussieren.
Ein besonders wertvoller Aspekt des Shintoismus ist meiner Meinung nach seine Gelassenheit gegenüber unvorhersehbaren Veränderungen. Während westliche Steuerungsmethoden oft auf Kontrolle und Vorhersagbarkeit setzen, akzeptiert die shintoistische Perspektive stetige Veränderung und Neuorientierung als natürlichen Teil des Wandels.
Inspiration für Innovationsmanager: Marktveränderungen erwarten, nicht fürchten, und immer wieder neue kreative Anpassungsstrategien im Ärmel haben.
Nice to know: Obwohl man Japan tatsächlich als das "Land der Convenience Stores" bezeichnen kann, gibt es dort mehr Shinto-Schreine als Convenience Stores. Während es rund 55.000 7-Eleven-, Lawson- und FamilyMart-Filialen gibt, existieren über 80.000 Shinto-Schreine im ganzen Land – von kleinen, versteckten Schreinen am Wegrand bis hin zu sehr großen Anlagen, wie dem wunderschönen Fushimi Inari-Taisha in Kyoto.

Die Synthese von Shinto und Kaizen für die Zukunft
Aus der Kombination von Kaizen und Shinto leite ich zwei Innovationsprinzipien ab:
„Fließende Evolution durch kleine Schritte“ – Innovation ist nicht unbedingt disruptiv, sondern kann durch kontinuierliche, kleine Fortschritte langfristige Wirkung entfalten. Kleine Erfolge sind auch Erfolge.
„Lösungsfindung durch Blick auf unscheinbare Details“ – Nachhaltige Innovation entsteht, wenn Veränderungen stets erwartet - und nicht abgelehnt - werden. Lösungsideen können dann in allen noch so kleinen Bestandteilen der Umgebung entdeckt werden. In allem steckt Kreativität.
Fazit: Shinto und Kaizen als Schlüssel für moderne Innovationsstrategien
Kaizen zeigt uns, dass Innovation nicht immer ein großer Sprung sein muss, sondern oft aus vielen kleinen Schritten besteht. Der Shintoismus erinnert uns daran, dass Harmonie und Respekt auch in allen kleinen Details entscheidend sind, um nachhaltige und erfolgreiche Veränderungen zu schaffen.
Miteinander kombiniert ermöglichen sie eine Denkweise, die sowohl den Fokus auf kleinen Schritte als auch eine dynamische, vernetzte Innovationskultur fördert.
Innovationsmanager können aus diesen japanischen Prinzipien lernen, dass ständige Anpassung mit kreativen Problemlösungen genauso wichtig sind wie ein pragmatischer, unaufgeregter Umgang mit Veränderungen und der Blick auf das scheinbar "Kleine". Wer diese Balance meistert, wird nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger und zukunftsorientierter innovieren.
Wie denkst du über die Schlussfolgerungen? Fallen dir weitere hilfreiche Ableitungen für besseres Innovationsmanagement aus Kaizen und Shinto ein?
Welche Impulse aus Japan wünscht du dir als weitere Blogthemen?
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